Cover Folge 2 „Der falsche Kork“ – zwei grüne Schraubkappen, Regenhof, Lupe auf Deckelprägung

 

Der Geruch von feuchtem Stein hing noch in den Mauern, als zwei Deckel ins Lampenlicht kamen. Über uns summte einmal die Lichterkette, dann tat der Hof so, als hielte er den Atem an.

Lukas stellte zwei Flaschen nebeneinander—dieselbe Partie, dasselbe Etikett. Ich schenkte ein. Das erste Glas war hell pfeffrig; das zweite roch, als läge eine Decke auf dem Aroma.

„Kein Kork“, sagte Lukas, schon bevor Inspektor Pröll den Kopf hob. „Schraube.“

Pröll drehte den grünen Deckel langsam, als lauschte er auf eine Erinnerung. „Die Prägung wirkt müde.“ Er legte den Verschluss neben den zweiten. „Schau, Rainer: hier die Kante—eine Spur weicher.“

Im Büro fehlte plötzlich der Fotobogen mit den alten Verschlussmustern – eine Lücke, sauber herausgerissen. Als ich die Schublade zuschob, klapperten die Schlüssel – und die Nerven.

Johann der Winzer kam herein wie jemand, den Regen nicht erreicht. „Zwei Gläser, zwei Deckel, fünf Minuten.“ Er roch, schwieg, roch noch einmal. Dann fuhr sein Fingernagel innen rund—ein Kreis, der etwas weckte. „Seht ihr die MIKRORIEFEN?“, fragte er leise. „Ohne Licht fast unsichtbar. Falsche Kappencharge—oder die Anpressung hat zu sanft gegriffen.“

„Und was macht das mit dem Wein?“ fragte Nino, der so tat, als wäre ihm kalt, nicht nervös.

„Manchmal nichts“, sagte Johann. „Manchmal ein hauchdünner Luftweg. Dann schläft er einem im Glas ein.“ Er legte die Deckel wie Münzen in eine Reihe. „Welche L-Nummer?“

„Die richtige“, knurrte Lukas. „Gestern intern umetikettiert, weil die Kappenfarbe nicht gestimmt hat. Sonst nichts.“

Im Presshaus kniete Pröll bei einem Karton, fuhr mit dem Daumen über eine überklebte Ziffer. „Sonst nichts“, wiederholte er. „Und trotzdem fehlt hier ein Hauch.“ Er hob einen feuchten Ring auf—abgerissen, grün, noch klebrig. „Wer hat aufgedreht—und wieder zugedrückt?“

Draußen wurde der Regen schwerer. Aus dem Schlossgang kam eine tiefe Terz vom Zug der Tür.

„Der Vertreter?“ fragte ich. „Gestern kurz da.“

„Muster bleiben im Büro“, sagte Lukas. „Immer.“

Wir suchten den Fotobogen. Nicht im Ordner. Nicht hinter dem Regal. Nicht im falschen Fach. Am Ende lag er unter dem Prospektständer: Eselsohr, Kugelschreibernummer auf der Rückseite—zu keinem Auftrag passend. Neben der Heizung glänzte ein winziger Lackspan wie ein kalter Stern.

Auf der Schublade mit den Musterkappen blieb eine leere Mulde zurück – genau in dem Fach für die grünen Deckel.

„Ich war’s“, sagte Nino, bevor jemand fragen konnte. Seine Stimme klang, als hätte er nasse Schuhe. „Für Insta. Ich habe im Büro eine glänzende Musterkappe geholt und sie auf eine Flasche in der Reihe aufgeschraubt – fürs Foto. Danach … habe ich sie nicht zurück ins Büro gebracht.“

Der Satz blieb im Raum stehen. Lukas holte einmal tiefer Luft. „Du machst das Foto heute noch einmal – mit den richtigen Kappen. Vorher räumen wir auf.“

Johann drehte den Deckel in seiner Hand. „Hier innen der Lackspan. Passiert, wenn die Kappe nicht bündig anliegt. Nicht böse—nur schlampig. Und Schlampigkeit ist der Cousin von kleiner Fälschung.“

„Ist das jetzt ein Delikt?“ fragte Frau M. aus dem Türrahmen. Sie filmte nicht; ihr Handy blieb unten.

„Beides, wenn man’s laufen lässt“, sagte Pröll. Er steckte den feuchten Ring ins Notizbuch, legte beiläufig einen zweiten—gestern gefunden—daneben. „Prägungen reden. Man muss ihnen nur zuhören.“ Das Heft machte ein leises klapp.

Wir holten die Kisten, fanden die Flasche mit der Musterkappe, tauschten sie aus. Lukas strich ein neues Etikett glatt, als würde er damit auch den Abend glätten. Während der Regen nachließ, zählten wir still: Deckel, Sicherungsringe, Proben. Nichts fehlte—und doch fehlte etwas: stilles Vertrauen.

Nach einer Stunde schenkte ich das müde Glas erneut ein—und es kam zurück wie jemand, der wieder zuhört. Die Deckel lagen nebeneinander wie zwei, die alles gesagt hatten.

„Zwei Linien, eine Marke“, sagte Johann zum Abschied. „So beginnen schlechte Geschichten: mit der Idee, dass kleine Ungenauigkeit keiner merkt. Heute haben wir sie gemerkt.“

Im Hof schob der Regen die Nacht beiseite. Pröll hielt die beiden Verschlüsse nebeneinander ins Lampenlicht. „Müde Prägung, wache Leute“, sagte er. „Damit kann ich leben.“

Sepp pfiff seine tiefe Terz. „Heast, kummts her— a Packerl fia eich“, rief er, halb grinsend, halb ernst. Auf dem Presshausfass stand ein roh gezimmertes Kistl, nass vom Regen. Innen, unsauber ins Holz geritzt: fünf grobe Zeichen, übereinander, hastig gesetzt: H Ü T E R. Daneben zwei flache Kerben, wie kleine Pfeile im Holz.

Lukas fuhr mit dem Finger darüber, ohne zu berühren. „Morgen schauen wir uns die Linien an“, sagte er leise.

Und ich dachte, wie leise manche Fälle sind. So leise, dass man sie nur hört, wenn der Keller atmet.


Fortsetzung folgt: E03 – Riedenkartell am So, 19.10.2025, 19:00.

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